Segeln ein beliebter Inklusionssport
07.10.2021
Von Ralf Abratis, Segelredakteur
Die Welt des Segelsports ist vielfältig! Kats, Skiffs, frische Jollen, dazu kleine Foiler und auch inklusives Segeln: Das Angebot ist groß, und die Nachfrage ist in den vergangenen eineinhalb Jahren sehr gewachsen. Der Freizeitbereich verzeichnet große Zuwächse. „Gerade innerstädtische Reviere sind proppenvoll. Die Außenalster in Hamburg konnte man an den Wochenenden fast trockenen Fußes überqueren – so viele Boote waren dann unterwegs“, sagt Ulf Denecke, Abteilungsleiter für Ausbildung und Wettsegeln beim Deutschen Segler-Verband.
Ein Ansturm auf den Segelsport, der auch bei den großen Importeuren ankommt. „Das Segment Freizeit-Segeln hat eindeutig von der Pandemie profitiert“, erklärt Christian Brandt von RS Sailing Deutschland und berichtet von Situationen wie beim Ausverkauf. „Es liegt in der Natur der Sache, dass die Welle nicht ganz so groß ist wie beim SUP, aber viele wollen auf das Wasser und in den Segelsport. Wenn wir mehr Jollen ran bekommen würden, dann würden wir auch noch mehr verkaufen.“ Aus der Angebotspalette der RS-Werft hat sich besonders die Zest als Verkaufsschlager entwickelt. Die kompakte Dreieinhalb-Meter-Jolle bringt genau die Eigenschaften mit, die für Segeleinsteiger und auch Segelschulen wichtig sind: Sie kann allein oder auch zu zweit gesegelt werden, ist leicht aufzubauen, günstig in der Anschaffung und in Polyethylen-Bauweise nahezu wartungsfrei. „Die Zest erinnert mich ein wenig an die Sunflower aus den 1960er Jahren“, sagt Brandt. „Fast so etwas wie eine Volksjolle.“
Eine Parallele dazu gibt es bei Laser Deutschland. „Die Nachfrage nach Freizeit-Jollen ist immens, wir werden überrannt“, berichtet Ferdinand Ziegelmayer. „Wir haben uns zwar gut vorbereitet und sind gut bestückt, kommen aber an unsere Grenzen, da es mal an Masten oder Segeln fehlt.“ Der Motor bei Ziegelmayer ist der Laser Bahia. Ebenfalls aus Polyethylen hergestellt ist die Jolle ein Boot für die ganze Familie. Das Cockpit bietet viel Platz, ist selbstlenzend und das gesamte Handling ist auf Einfachheit ausgelegt. So werden die Einsteiger mühelos ans Segeln herangeführt. „Die Interessenten bilden eine große Bandbreite. Der Bahia ist ein ideales Alltagsboot, aber auch für den Urlaub. Kinder und Eltern können gleichermaßen mit der Jolle segeln, und auch Vereine und Segelschulen nutzen sie gern für die Ausbildung“, sagt Ferdinand Ziegelmayer.
Beide Importeure können aber auch vom traditionellen Regattasport profitieren. Ihr Vorteil: Sie haben Einhand-Jollen im Portfolio, die seit Jahrzehnten bewährt sind oder nach konsequentem Aufbau nun davorstehen, sich zu etablieren. Bei Ziegelmayer ist es der Ur-Laser, der vor inzwischen 51 Jahren entworfen wurde. Auch wenn die Olympiaklasse nach Lizenzstreitigkeiten nun unter dem Namen ILCA firmiert, hat sich an der Anziehungskraft kaum etwas geändert. Mit den drei verschiedenen Riggversionen bietet die Jolle eine Plattform für Opti-Umsteiger ebenso wie für hochtrainierte Spitzenathleten. „Die Nachfrage ist weiterhin sehr hoch. Die Klasse ist einfach cool für Jugendliche. Sie können mit der Klasse wachsen. Mit ein paar Handgriffen stellt man um auf eine höhere PS-Zahl. Das macht es auch für Vereine attraktiv, weil man mit dem Heranwachsen der Jugend auf keine andere Bootsklasse wechseln muss“, so Ziegelmayer.
Das Pendant bei RS, der Aero, funktioniert nach dem gleichen Prinzip: eine Rumpf-, drei Riggversionen. Nach einigen Jahren Aufbauarbeit ist die Regattaszene nun auf die moderne Einhand-Klasse angesprungen. „Die kritische Masse ist überschritten. Inzwischen entwickeln sich regionale Regatten auf diversen Revieren. Das ist die Voraussetzung, dass sich die Spirale weiter nach oben dreht und die Klasse weiterwächst“, sagt Christian Brandt. Das große Plus des Aero: das einfache Handling, wodurch man in wenigen Minuten auf dem Wasser ist. Diese spielerische Leichtigkeit überzeugt nicht nur Umsteiger aus Jugendklassen, sondern auch Wiedereinsteiger, die nach mehrjähriger berufsbedingter Pause wieder zurück in den Regattasport wollen. „Der Einhandbereich ist das größte Segment bei den Jollen“, sagt Christian Brandt.
Die Jugend setzt aber auch auf Zweihand – und da, zunehmend, auf Skiffs. Während beispielsweise mit den RS Feva die Lücke geschlossen wird zwischen traditionellen Jollen und modernen Skiffs, geht es mit den 29ern klar in Richtung Leistungsskiff. Immer mehr Landesverbände begeistern in ihrer Nachwuchsarbeit die Jugend mit dem Unterbau für den olympischen 49er. Die Entwicklung sieht 29er-Importeur Holger Jess zwar gern, aber „overall ist das Segment eher klein“. Viele Vereine setzen mehr auf Freizeit- als auf Leistungssegeln. „Ich denke mittelfristig wird der deutsche Segelsport in der Spitze damit Probleme bekommen. Bis 2028 sind wir noch ganz gut aufgestellt, da viele aktuelle Leistungssegler bis dahin weitermachen wollen. Aber danach könnte es bröckeln“, so Jess.
An der Faszination für das schnelle Segeln kann es indes nicht liegen, denn auch die Kat-Klassen zeigen Zuwachszahlen. Das gilt sowohl für den Freizeitbereich wie bei den Polyethylen-Booten als auch in der Regattaszene. „Die Regattaszene war zwar etwas gehandicapt durch die Corona-Auflagen. Aber wir hatten im Sommer ein Jugendtraining für den Hobie 16 mit 26 Teilnehmern. So viele hatten wir seit Jahren nicht“, berichtete Detlef Mohr, der sich nicht nur in die Jugendarbeit der Klassenvereinigung einbringt, sondern die Szene auch als Hobie-Händler bestens kennt: „Das ist ein klares Zeichen, das die Kiddies setzen. Gerade nach Corona streben sie nach draußen.“ Aber auch Detlef Mohr hat den Trend zum Freizeitsegeln ausgemacht. „Leicht, unkompliziert und transportable sind die entscheidenden Faktoren.“ Damit sind auch im Segelsport – wie schon bei den SUP – die aufblasbaren Angebote, die in den Kofferraum passen, im Kommen.
Ein Trend, den die traditionellen Importeure und Händler kaum mitgehen wollen. Vielmehr steigen hier die Discounter ein, die mit Billigangeboten den Wassersportmarkt aufwirbeln. Wie nachhaltig dieser Boom allerdings ist, scheint mit vielen Fragezeichen verbunden. Mit dem nächsten Trendsport dürften diese Wassersporteinsteiger wohl auch schnell wieder umschwenken.
Eine Garantie für eine langfristige Bindung an das Segeln dürften dagegen die technisch anspruchsvollen Klassen bieten. Ihre Gemeinschaft zeigt ebenfalls deutliche Zuwachsraten, allerdings weit entfernt von einem Massenmarkt. Kat- und Foil-Experte Helge Sach kann sich an den Neuentwicklungen in der Konstruktionsklasse der Formula 18 begeistern. „Alle namhaften Hersteller haben neue Modelle auf den Markt gebracht. Auffällig ist, dass alle auf einen radikalen Wave-Piecer-Bug setzen, der aber im unteren Bereich viel Auftrieb bietet. So werden Kenterungen nach einem Stecker vermieden. Auch bei den Segelentwicklungen hat sich einiges getan. Die Vorlieks werden immer tiefer gezogen, die Anströmung für die Decksweeper-Segel damit verbessert“, so Helge Sach.
Doch, während diese Feinheiten insbesondere auf die Regattaspezialisten abzielen, öffnet sich eine andere Nische einer breiteren Schicht: das Foiling. „Die Foils haben sich immer weiterentwickelt. Die Vier-Punkt-Foiler segeln inzwischen so stabil, dass man es lernen kann, ohne ein Top-Regattasegler zu sein“, berichtet Helge Sach. Und diese Erkenntnis gilt nicht nur für die foilenden Katamarane, sondern auch für die kleinen Center-Foiler im Motten-Format. „Die deutsche Wasp-Flotte wächst kontinuierlich. Wir haben von Jahr zu Jahr eine Verdoppelung der Segler“, berichtet Ferdinand Ziegelmayer vom Erfolg der gerade einmal 3,35 Meter langen „Wespe“. „Es ist ein tolles Konzept, ein einfacher Einstieg in diese Art des Segelns. Nicht nur Regatta-, sondern auch Freizeitsegler wollen die dritte Dimension. Die Regattasegler nutzen es, um sich parallel zu ihrer Klasse fortzubilden. Und die Freizeitsegler sind einfach glücklich, wenn sie halbwinds über ihr Revier fliegen. In der Klasse herrscht zudem eine sehr freundschaftliche Atmosphäre. Jeder ist hilfsbereit, das macht sie aus“, so Ziegelmayer.
Eine starke Entwicklung hat zudem das Segeln für Menschen mit Handicap genommen. Nachdem der Segelsport 2000 paralympisch geworden war und für 2020 wieder aus dem Programm für die Paralympics gestrichen wurde, waren die Befürchtungen groß, dass diese besondere Möglichkeit des Segelns an Bedeutung verlieren würde. Doch das Gegenteil ist der Fall. Und die Menschen mit Behinderung bleiben nicht unter sich. Inklusion ist das Schlagwort. 2020 wurde die erste Inklusions-WM in der S\V 14 auf der Alster gesegelt. In diesem Jahr zogen die RS Venture Connect mit ihrer inklusiven WM zur Travemünder Woche nach. Gleich zwei Klassen haben sich also etabliert – und Deutschland ist der Motor für den Inklusionssport.
Über die boot Düsseldorf
Die boot Düsseldorf ist die größte Boots- und Wassersportmesse der Welt und jedes Jahr im Januar der Meeting Point der gesamten Branche. Die Aussteller präsentieren ihre interessanten Innovationen, attraktiven Neuentwicklungen und maritimen Ausrüstungen. Die nächste boot findet vom 22. bis 30. Januar 2022 in Düsseldorf statt. Auf der neuntägigen Messe mit 220.000 Quadratmetern in 17 Messehallen ist der internationale Markt zu Gast und bietet einen spannenden Einblick in die gesamte Wassersportwelt. Hier ist für jeden etwas dabei. Schwerpunkte sind Boote und Yachten, Motoren und Motorentechnik, Ausrüstung und Zubehör, Dienstleistungen, Kanus, Kajaks, Kitesurfen, Rudern, Tauchen, Surfen, Wakeboarden, Windsurfen, SUP, Angeln, maritime Kunst, Marinas, Wassersportanlagen, Beach Resorts und Charterring. Alle notwendigen Informationen finden Sie auf der Website der boot Düsseldorf, boot.de.